Neue Anforderungen der WCAG 2.1 im Überblick

, von Detlev Fischer

Am fünften Juni 2018 wurde nach langer Vorarbeit nun eine neue Version 2.1 der W3C-Zugänglichkeitsrichtlinien Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) veröffentlicht. Die neue Version bringt eine neue Richtlinie, zwölf neue Erfolgskriterien auf Level A und Doppel-A, und fünf neue Kriterien auf Level AAA. Es wird also Zeit, diverse Verordnungen und Testverfahren, die auf den WCAG beruhen, zu aktualisieren.

Hinweis: Die neuen Erfolgskriterien sind bislang nicht ins Deutsche übersetzt, deswegen verwendet diese Übersicht bis auf Weiteres die englischen Bezeichnungen.

Die neue Richtlinie Guideline 2.5 Input Modalities

Die neue Richtline deckt Anforderungen für Nutzer von Zeigern (Maus, Eingabestift, Laser-Pointer oder Touchscreen-Eingabe) ab, dazu aber auch den Input über Sprache und über Bewegung (eines mobilen Geräts, oder durch Gesten, die von Sensoren oder der Kamera aufgenommen werden).

Unter diese neue Richtlinie fallen die neuen Erfolgskriterien 2.5.1 Pointer Gestures, 2.5.2 Pointer Cancellation, 2.5.3 Label in Name, 2.5.4 Morion Actuation und die AAA-Kriterien 2.5.5 Target Size und 2.5.6 Concurrent Input Mechanisms.

Zwölf neue Erfolgskriterien auf Level A und AA (= BITV-Priorität I)

1.3.4 Orientation (AA)

Inhalte lassen sich sowohl im Portrait- als auch im Landschaftsformat nutzen, es sei denn der Nutzer arretiert die Ansicht oder das Format ist essenziell (z.B. Musik-Keyboard). Wichtig für festmontierte Geräte, z.B. auf Rollstühlen.

1.3.5 Identify Input Purpose (AA)

Eingabezweck bei Eingabefeldern für nutzerbezogenen Daten (Kontakt-, Adress-Daten) sind programmatisch ermittelbar – Umsetzung basiert i.d.R. auf HTML 5.2 Autofill Attributen, könnte auch anders erfüllt werden – Beispiele von Namensformaten: name, family-name, cc-name, cc-family-name (Kreditkarten). Wichtig bei kognitiven Einschränkungen.

1.4.10 Reflow (AA)

Verlangt bei 320 CSS-Pixeln Breite (entweder schmaler Viewport oder Vergrößerung 400% bei 1280 Pixeln Ausgangsbreite) eine einspaltige Ansicht ohne (in westlichen Sprachen) die Notwendigkeit, zum lesen horizontal zu scrollen. Wichtig für sehbehinderte Nutzer, die Inhalte vergrößern.

1.4.11 Non-Text Contrast (AA)

Bei Interface-Komponenten und Zuständen wird verlangt ein Kontrast von 3:1 für grafische sind visuelle Infos, die zur Identifizierung erforderlich (nicht notwendigerweise der volle Rahmen) – und nicht für Defaults (etwa Checkboxen). Wichtig für sehbehinderte Nutzer.

1.4.12 Text Spacing (AA)

Verlangt wird bei Technologien, die Styles unterstützen (Mark-up) dass Zeilenhöhe, Absatzabstand, Wordabstand, und Buchstabenabstand anpassbar sind ohne dass Inhaltsverluste auftreten (z.B. keine festen Höhen setzen). Wichtig für sehbehinderte Nutzer.

1.4.13 Content on Hover or Focus (AA)

Verlangt wird, dass Pop-Over-Inhalt ohne Fokuswechsel /Pointer-Positionswechsel entfernt werden kann oder andere Infos nicht überdeckt; der Zeiger kann darüber bewegt werden, ohne dass Inhalt schließt; Inhalt bleibt verfügbar, bis Fokus wegbewegt wird, absichtlich geschlossen wird, oder Inhalt nicht länger aktuell ist. (Nicht ganz klar, was das in reinen Pointer UA bedeutet). Wichtig vor allem für sehbehinderte Nutzer, die mit Bildschirmvergrößerung und entsprechend mit Ausschnitten arbeiten.

2.1.4 Character Key Shortcuts (A)

Wenn Webinhalte einfache Tastaturbefehle (ein Buchstabe ohne Wechsel-Taste) definieren, wird verlangt, dass sich diese abstellen oder anpassen lassen oder nur funktionieren, wenn das entsprechende Element den Fokus hat. Wichtig für Nutzer, die die Spracheingabe nutzen und auch für Tastaturnutzer, um unbeabsichtigte Eingaben zu vermeiden.

2.5.1 Pointer Gestures (A)

Verlangt wird, dass es einfache Alternativen für komplexe Zeiger-Gesten (Mehrfinger-Gesten, pfadbasierte Gesten) gibt: möglich sind einfacher oder doppelter oder langer Tipp oder Klick. Eine Ausnahme wird wohl gemacht für Drag-and-drop-Aktionen (in Klärung). Wichtig für motorisch eingeschränkte Nutzer, die Schwierigkeiten haben, komplexe Gesten auszuführen.

2.5.2 Pointer Cancellation (A)

Verlangt wird, dass Zeiger-Interaktionen nicht beim Down-Event eine Aktion auslösen ODER die Aktion rückgängig gemacht werden kann ODER der Zustand bei UP in den Ausgangszustand wechselt ODER der Down-Event essenziell ist (etwa bei Spiele, Musik-Keyboards o.ä.). Wichtig vor allem für motorisch eingeschränkte Nutzer, die sonst leicht versehentlich Aktionen auslösen können.

2.5.3 Label in Name (A)

Verlangt wird, dass der zugängliche Name (accName) von Bedienelementen (also das, was an Screenreader ausgegeben wird) den Text des sichtbaren Labels enthält (wenn es ein sichtbares Label gibt). Wichtig für Nutzer, die die Spracheingabe nutzen, damit Sprachbefehle, die sich an Labels orientieren, funktionieren.

2.5.4 Motion Actuation (A)

Wenn Aktionen über Bewegungssensoren (oder die Kamera, die Bewegungen interpretiert) getriggert werden, wird verlangt, dass es zugängliche Alternativen gibt, die Interface-Elemente nutzen. Die Bewegungsaktivierung kann abgestellt werden – Ausnahmen: von Hilfsmitteln definierte Gesten und essenzielle Aktionen, ohne die die Funktion nicht denkbar wäre. Wichtig für motorisch eingeschränkte Nutzer, die Bewegungsgesten nicht oder nicht kontrolliert ausführen können.

4.1.3 Status Messages (AA)

Verlangt wird, dass Statusnachrichten (Formular abgeschickt, Fehler traten auf, usw.) programmatisch ermittelbar sind. Wichtig vor allem für nicht-visuell arbeitende Hilfsmittelnutzer (Screenreader-Nutzer), damit dynamische Rückmeldungen der Anwendung wahrgenommen werden können.

Fünf neue Erfolgskriterien auf Level AAA (= BITV-Priorität 2)

1.3.6 Identify Purpose (AAA)

Verlangt, dass der Zweck von Interface-Komponenten programmatisch ermittelt werden kann (etwa über Coga-ARIA-Attribute (Entwurf unter https://w3c.github.io/coga/extension/ ). Wichtig vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen.

2.2.6 Timeouts (AAA)

Verlangt generelle Vorab-Warnung bei Formularen, bei denen Inhalte durch Inaktivität verloren gehen können. Wichtig vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Menschen die aufgrund ihrer Behinderung oder Ihres Interaktionsmodus lange für Formulareingaben brauchen.

2.3.3 Animation from Interactions (AAA)

Verlangt, dass Animationen, die durch Nutzeraktivität ausgelöst werden, abgestellt werden können (UA-seitig oder inhaltsseitig). Wichtig für sehbehinderte Menschen und solche, die an Gleichgewichtsstörungen leiden.

2.5.5 Target Size (AAA)

Verlangt für Interface-Elemente mindestens eine Target-Größe von 44 x 44 CSS-Pixeln. Ausnahmen: Fließtext-Elemente (Links) redundante Links existieren, Elemente sind nicht vom Autor modifiziert (z.B. Checkboxen) oder die Größe ist essenziell für den betreffenden Inhalt. Wichtig für Menschen mit motorischen Einschränkungen, die nicht so zielgenau interagieren und sehbehinderte Menschen, die größere Targets leichter wahrnehmen.

2.5.6 Concurrent Input Mechanisms (AAA)

Verlangt, dass Interaktionen, die in einem bestimmten Input-Modus begonnen wurden (etwa Tastatur) mit einem anderen Modus fortgesetzt werden können (etwa Touch) – das betrifft sowohl die gemischte Eingabe bei Hybridgeräten also auch das zusätzliche Verbinden externer Eingabegeräte. Wichtig für Menschen, die fallweise aufgrund ihrer Behinderung zwischen verschiedenen Inputmodi wechseln.

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 2 und 3?